BRAK-Mitteilungen 3/2021

lerdings finden sich Andeutungen. In der Gesetzesbe- gründung zu § 87 BRAO a.F., wo seinerzeit das Rüge- recht verortet war, vom 8.1.1958 heißt es, dass der Rü- gebescheid nicht der materiellen Rechtskraft fähig sei und „die Rüge lediglich eine Maßnahme der besonde- ren Aufsicht darstellt, die den betroffenen Rechtsanwalt in seinen Rechten nicht verletzt und deshalb nach allge- meinen Grundsätzen der gerichtlichen Nachprüfung nicht unterliegt.“ 5 Gleichwohl hatte ein betroffener Rechtsanwalt schon damals in Bezug auf das gerügte Verhalten die Möglichkeit, nach § 135 III BRAO a.F. ein Selbstreinigungsverfahren beim – damals noch – Ehren- gericht einzuleiten. Zur Einführung des § 74a BRAO hat der Gesetzgeber in seiner Begründung festgehalten, dass der Kammervor- stand mit der Erteilung einer Rüge öffentliche Gewalt ausübt; dieser „öffentlich-rechtliche Akt“ beeinträchtige den Rechtsanwalt in seiner Rechtsstellung, weshalb der Rügebescheid in einem gerichtlichen Verfahren nachge- prüft werden können müsse (Art. 19 IV GG). 6 Es wäre daher bei „dieser Natur der Rüge“ naheliegend, das Verfahren anzuwenden, in dem „allgemein Rechts- schutz bei Verwaltungsakten gewährt wird“. 7 Das spricht dafür, dass der Gesetzgeber in einer Rüge einen Verwaltungsakt sieht. 2. GESETZLICHE GRUNDLAGEN § 74 BRAO n.F. schweigt zur Rechtsnatur der Rüge. Al- lerdings erklärt § 32 I 1 BRAO für Verwaltungsverfah- ren nach der BRAO das VwVfG (des Bundes) für an- wendbar, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Nach § 9 VwVfG handelt es sich bei einem Verwal- tungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes um die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prü- fung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist; es schließt den Erlass eines Verwaltungsaktes ein. Eine Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maß- nahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, stellt sodann einen Verwaltungsakt dar (§ 35 S. 1 VwVfG). Bei den Rechtsanwaltskammern, die als Kör- perschaften des öffentlichen Rechts ausgestaltet sind (§ 62 I BRAO), handelt es sich um Behörden i.S.d. Art. 35 GG 8 und damit auch i.S.d. § 35 VwVfG, da sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (§ 1 IV VwVfG); dem steht die Selbstverwaltung nicht entgegen (vgl. § 73 III 2 Nr. 3 VwGO). 3. RECHTSPRECHUNG In seinem Urteil vom 3.7.2017 9 hat der BGH ausführ- lich hergeleitet, dass es sich bei einer einfachen Beleh-

9 BGH, Urt. v. 3.7.2017 – AnwZ (Brfg) 45/15, BRAK-Mitt. 2017, 254 = NJW 2017, 2556. 10 BGH, Urt. v. 3.7.2017 – AnwZ (Brfg) 45/15, BRAK-Mitt. 2017, 254 = NJW 2017, 2556, dort Rn. 19; BGH, Beschl. v. 16.4.2007 – AnwZ (B) 40/06, BRAK-Mitt. 2009, 150 = NJW 2007, 3499 Rn. 9; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 20.11.2007 – 1 BvR 2482/07, NJW 2008, 502. 4. LITERATUR Bei Brüggemann heißt es, dass Kammerverfahren, für die die BRAO Sonderregelungen vorsehe, „wie zB Auf- sichts- und Beschwerdesachen mit eventueller Rüge“, nicht den Vorschriften des VwVfG unterliegen würden. Dies ergebe sich einerseits aus § 32 I BRAO und – in Be- rung durch den Kammervorstand nach § 73 II Nr. 1 BRAO nicht um einen Verwaltungsakt handelt; eine sol- che einfache Belehrung enthalte keinen Schuldvorwurf und sei auch nicht anwaltsgerichtlich anfechtbar. Da- von abzugrenzen sei jedoch ein belehrender Hinweis bzw. eine missbilligende Belehrung; bei diesem von Rechtsprechung 10 und – weitgehend 11 – Literatur 12 an- erkannten Mittel handele es sich infolge des Eingriffs um einen Verwaltungsakt (zumindest wenn ein Hand- lungsverbot oder ein Handlungs- oder Unterlassungs- gebot ausgesprochen wird). Für das Vorliegen einer missbilligenden Belehrung soll es dabei – in Abgren- zung zur einfachen Belehrung – unter anderem spre- chen, wenn der Bescheid mit einer die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens verbindlich feststellenden Entschei- dungsformel und einer Rechtsbehelfsbelehrung verse- hen ist. Wenn diese Klassifizierung als Verwaltungsakt bereits für den im Rang unter der Rüge stehenden belehrenden Hinweis gilt, 13 muss dies aber erst recht auch für die wesentlich einschneidendere Rüge gelten. Das VG Freiburg kam daher ebenfalls zu dem Ergebnis, dass „das aufsichtsrechtliche Mittel jedenfalls im Fall der Rüge ein Verwaltungsakt ist“. 14 An der Einordnung als Verwaltungsakt ändert es auch nichts, dass die Rüge von einem Organ der Selbstver- waltungskörperschaft gegenüber einem Mitglied erlas- sen wird und man daher von einer „verwaltungsinter- nen“ Angelegenheit ohne die erforderliche Außenwir- kung i.S.d. § 35 VwVfG ausgehen könnte. 15 Dem Rechtsanwalt steht nämlich die grundrechtlich ge- schützte Freiheit zu, seinen Beruf grundsätzlich frei von Reglementierungen eigenverantwortlich auszuüben. 16 Der Rechtsanwalt ist daher auch im Verhältnis zur Rechtsanwaltskammer stets Träger eigener, privater Rechte und wird folglich – anders als etwa in kommu- nalverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnissen – durch die Rüge nicht als Teil der öffentlichen Gewalt betroffen, sondern vielmehr in seinen eigenen Rechten. 17

11 Kleine-Cosack , § 74 Rn. 2, hält sie für „gesetzwidrig“.

12 Weyland/ Weyland , § 74 Rn. 8-13. 13 So auch Kleine-Cosack , § 73 Rn. 7.

14 VG Freiburg, Urt. v. 16.9.2015 – 7 K 942/14 Rn. 36. 15 So jedoch Güldenzoph , BRAK-Mitt. 2011, 4, 7 f.

5 BT-Drs. 3/120 v. 8.1.1958, 87 r.Sp. 6 BT-Drs. 5/2848 v. 22.4.1968, 19 l.Sp. 7 BT-Drs. 5/2848 v. 22.4.1968, 20, l.Sp. 8 Weyland/ Weyland , § 74 Rn. 22, m.w.N.

16 BVerfG, Beschl. v. 8.11.1978 – 1 BvR 589/72; Weyland/ Weyland , § 74 Rn. 11. 17 VG Freiburg, Urt. v. 16.9.2015 – 7 K 942/14 Rn. 36; vgl. auch Weyland/ Weyland , § 74a Rn. 1.

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