BRAK-Mitteilungen 3/2021

ANWENDBARE VERFAHRENSVORSCHRIFTEN BEI ANWALTSGERICHTLICHER ENTSCHEIDUNG ÜBER EINE RÜGE VWGO, STPO ODER NUR BRAO?

RECHTSANWALT DR. MAXIMILIAN OTT

Gleichzeitig ist eine Abschrift des Bescheides der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht (Gene- ralstaatsanwaltschaft) mitzuteilen (§ 74 IV 3 BRAO). Der Generalstaatsanwaltschaft wird auf diese Weise Gelegenheit gegeben, selbstständig zu prüfen, ob der Sachverhalt Anlass zur Einleitung eines anwaltsgericht- lichen Verfahrens bietet oder aber ob es bei der Rüge sein Bewenden haben soll. 3 Der Einleitung eines an- waltsgerichtlichen Verfahrens gegen einen Rechtsan- walt steht es dabei nicht entgegen, dass der Vorstand der Rechtsanwaltskammer ihm bereits wegen dessel- ben Verhaltens eine Rüge erteilt hat (§ 115a I 1 BRAO); sollte es zu einem rechtskräftigen Urteil – sei es ein Frei- spruch oder die Verhängung einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme nach § 114 BRAO – kommen, wird die Rü- ge allerdings unwirksam (§ 115a II BRAO). Dass in der Praxis trotz § 56 BRAO die Möglichkeiten des Vorstands zur Aufklärung des Sachverhalts – insbe- sondere aus Gründen der Verschwiegenheit und des Da- tenschutzes – beschränkt sind, mag dazu führen, dass ein Vorstand häufiger als vom Gesetzgeber vorgesehen von einer Rüge absieht und stattdessen bei der General- staatsanwaltschaft nach § 120 BRAO die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens anregt. 4 Für den betroffenen Rechtsanwalt ist dies ein Nachteil; aller- dings hat er es bis zu einem gewissen Grad selbst in der Hand, ob er den Vorstand bei der Aufklärung unter- stützt und damit im Idealfall auch keinen Anlass für eine Einschaltung der Generalstaatsanwaltschaft bietet. Ein Rechtsanwalt kann der Rüge zudem zuvorkommen, indem er nach § 123 BRAO bei der Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens stellt, um sich von dem Verdacht einer Pflichtverletzung zu reinigen (Selbstreinigungsverfah- ren). Ob ein solcher Schritt sinnvoll ist, kann nur im Ein- zelfall entschieden werden.

Das Anwaltsgericht ist zuständig für die Überprüfung einer vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer ausge- sprochenen Rüge. Mit einzelnen wenigen Ausnahmen lässt die BRAO allerdings offen, ob sich das gericht- liche Überprüfungsverfahren nach den Vorschriften der StPO oder nach denjenigen der VwGO richtet oder gar ausschließlich die BRAO Anwendung finden soll. Die Antwort hat erhebliche Auswirkungen auf ein Verfah- ren. So sehen die Verfahrensordnungen beispielsweise unterschiedliche Fristenregime vor. Der Status Quo ist deshalb auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht haltbar und ergangene Entscheidungen könnten verfassungsrechtlich in Frage gestellt werden. Der Ge- setzgeber sollte daher zeitnah für eine Klarstellung sor- gen. Der Autor erläutert sowohl die Hintergründe des Rügerechts als auch mögliche Rechtsbehelfe gegen die Rüge und erörtert sodann, welche Vorschriften aus sei- ner Sicht hierfür anwendbar sein sollten. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer kann das Ver- halten eines Rechtsanwalts, durch das dieser ihm oblie- gende Pflichten verletzt hat, rügen, wenn die Schuld des Rechtsanwalts gering ist und ein Antrag auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich erscheint (§ 74 I 1 BRAO); auch das Verhalten eines zum Geschäftsführer einer zugelassenen Rechtsanwaltsge- sellschaft bestellten Nichtkammermitgliedes, etwa eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers, kann entspre- chend gerügt werden (§§ 74 VI, 60 II Nr. 3, 59f II, 59a I BRAO). Bei der Rüge handelt es sich um eine Aufsichts- maßnahme. 1 Vor der Erteilung einer Rüge ist der betrof- fene Rechtsanwalt anzuhören (§ 74 III BRAO). Der Bescheid des Vorstands, durch den das Verhalten des Rechtsanwalts gerügt wird, ist mit einer Begrün- dung zu versehen und dem betroffenen Rechtsanwalt zuzustellen (§ 74 IV 1, 2 BRAO). Bei dem Rügebescheid handelt es sich um eine Maßnahme, die für das Kam- mermitglied mit einem fristgebundenen Einspruch an- fechtbar ist; der Bescheid ist daher mit einer Rechtsmit- telbelehrung zu versehen. 2 I. RÜGERECHT DES VORSTANDS DER RECHTSANWALTSKAMMER

II. RECHTSNATUR DER RÜGE

Bei der Rüge handelt es sich – wenn auch offenbar nicht nach einhelliger Meinung – um einen Verwal- tungsakt. 1. HISTORISCHE GESETZESBEGRÜNDUNGEN Den Gesetzesbegründungen lässt sich zwar keine expli- zite Aussage zur Rechtsnatur der Rüge entnehmen, al-

* Der Autor ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Gauweiler & Sauter in München und zu- gleich Richter am AnwG München.

1 BT-Drs. 5/2848 v. 22.4.1968, 20 l.Sp.

2 Henssler/Prütting/ Hartung, BRAO, 5. Aufl., 2019, § 74 Rn. 48 und 63; Weyland/ Weyland , BRAO, 10. Aufl., 2020, § 74 Rn. 51; Kleine-Cosack , BRAO, 8. Aufl., 2020, § 74 Rn. 8: „sollte“ mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen werden.

3 Henssler/Prütting/ Hartung, § 74 Rn. 49; Weyland/ Weyland , § 74 Rn. 50.

4 Henssler/Prütting/ Hartung , § 74 Rn. 22-25.

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021

145

Made with FlippingBook flipbook maker