BRAK-Mitteilungen 3/2021

der typischen Inkassodienstleistung hält das LG für überschritten: Mangels substantiierten Vortrags zu den schuldrechtlichen Abtretungsgrundlagen kommt das Gericht aufgrund objektiver Kriterien und Parteier- wartungen zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit der Klägerin von vornherein auf die gerichtliche Forde- rungsdurchsetzung gerichtet war. Die Beklagten hät- ten grundsätzliche Einwendungen erhoben, wie etwa die Regelungen der Zuckermarktordnung als Kartell- wirkungen ausschließende Preisbildungsmechanis- men. Im Unterschied zu „wenigermiete.de“ gehe es nicht um eine vorrangig außergerichtliche Anspruchs- durchsetzung, bei der der Dienstleister zur Initiierung gerichtlicher Verfahren nur berechtigt und nicht ver- pflichtet war, und dies auch nur bei hinreichender Er- folgsaussicht und Misserfolg außergerichtlicher Be- mühungen. Insgesamt liege kein Inkasso „(mehr)“ vor – anders im Fall „wenigermiete.de“, in welchem der BGH ein solches „(noch)“ angenommen hatte. Aty- pisch seien neben der angestrebten gerichtlichen Durchsetzung eine mehr als nur „grobe Schlüssigkeits- prüfung“, die zu erwartenden Einwände und die Kom- plexität der Rechtsfragen. Für diese seien typischer- weise vorhandene Kenntnisse eines Inkassodienstleis- ters, für dessen Zulassung im Regelfall ein 120 Stun- den umfassender Sachkundelehrgang genügt (§§ 2 I, IV RDV), nicht ausreichend. Dem Einwand, Inkassodienstleister würden ohnehin von Anwälten betrieben und seien besonders speziali- siert, nimmt das Gericht den Wind aus den Segeln:

Entscheidend sei der bei Zulassung für die beantragte Inkassotätigkeit erbrachte Sachkundenachweis, der das Kartellrecht nicht umfasse. Ausreichend sei es auch nicht, sich fehlende Rechtskenntnisse durch einen externen Rechtsanwalt beisteuern zu lassen – dies entspricht ständiger BGH-Rechtsprechung, nach der eine Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nicht zulässig wird, nur weil sich der Handelnde eines Rechtsanwalts bedient (BGH, BRAK-Mitt. 2009, 297 = NJW 2009, 3242 Rn. 22; NJW 2012, 2435 Rn. 34; NJW-RR 2016, 693; NJW 2018, 608 Rn. 14). Auch der Entwurf eines „Gesetzes zur Förderung verbraucher- gerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“ wird das Geschäftsmodell, wie das Gericht ausführt, nicht zulässig werden lassen, schon weil dieser nicht Ansprüche von Unternehmen in den Blick nimmt, son- dern solche von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Die Entscheidung überzeugt. Prozessfinanzierten Sammelklagen gegen Erfolgshonorar über die Inkas- solizenz zur Zulässigkeit zu verhelfen, ist schon wegen der auftretenden Interessenkollisionen (hierzu Prüt- ting, ZIP 2020, 1434, 1440) der falsche Weg. Die Stär- kung des kollektiven Rechtsschutzes muss dem Ge- setzgeber vorbehalten bleiben. Auch für die Durchset- zung von Kartellschadenersatzansprüchen gibt es ent- sprechende Vorschläge (vgl. Klumpe, NZKart 2019, 405 m.w.N.). Rechtsanwalt Dr. Christian Lemke, Vizepräsident der BRAK und Präsident der RAK Hamburg, Hamburg 3. Zur Sicherheit der Verschlüsselungstechnik des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs. BGH, Urt. v. 22.3.2021 – Anwz (Brfg) 2/20 AUS DEM TATBESTAND: [1] Die Kl. sind zugelassene Rechtsanwälte. Die Bekl. richtete auf Grundlage von § 31a I BRAO für sie ein be- sonderes elektronisches Anwaltspostfach (im Folgen- den auch: beA) ein. Nach § 31a VI BRAO sind die Kl. verpflichtet, die für dessen Nutzung erforderlichen tech- nischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das beA zur Kenntnis zu nehmen. [2] Die Kl. wenden sich gegen die technische Ausgestal- tung des beA durch die Bekl. und streben an, dass die- ses mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung betrieben wird, bei der sich die privaten Schlüssel ausschließlich in der Verfügungsgewalt der Postfachinhaber befinden. Sie berufen sich für die Definition der Ende-zu-Ende-Ver- schlüsselung auf die europäische Patentanmeldung EP

ELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR

AUSREICHENDE VERSCHLÜSSELUNGSTECHNIK BEIM beA

BRAO § 31a; RAVPV §§ 19, 20

1. Der Bundesrechtsanwaltskammer steht ein Spiel- raum bei der technischen Ausgestaltung der Nach- richtenübermittlung mittels des besonderen elektro- nischen Anwaltspostfachs zu, sofern das gewählte System eine im Rechtssinne sichere Kommunikation gewährleistet. 2. Ein Anspruch von Rechtsanwälten gegen die Bun- desrechtsanwaltskammer darauf, dass diese das besondere elektronische Anwaltspostfach mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung i.S.d. Europäischen Patentschrift EP 0 877 507 B1 versieht und betreibt, besteht nicht. Weder die gesetzlichen Vorgaben für die Errichtung und den Betrieb des besonderen elek- tronischen Anwaltspostfachs noch die Verfassung gebieten eine derartige Verschlüsselung.

BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG

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