BRAK-Mitteilungen 3/2021
RECHTSDIENSTLEISTUNGSGESETZ
[235] (1) Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzun- gen des § 2 II 1 RDG gegeben sind, wonach bei Erfül- lung bestimmter Kriterien eine Rechtsdienstleistung un- abhängig von den Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegt. Denn § 2 II 1 RDG ist für den Bereich der hier einschlä- gigen Forderungsbeitreibung (Inkassodienstleistung) keine Sperrwirkung gegenüber Abs. 1 zu entnehmen (s. nur OLG Stuttgart, DStRE 2018, 188, 189 m.w.N.). Da- her bedarf es an dieser Stelle keiner Prüfung, ob die Kl. die Forderungseinziehung als „eigenständiges Ge- schäft“ i.S.v. § 2 II 1 RDG betreibt. [236] (2) Die Kl. sollte eine „Rechtsdienstleistung“ i.S.v. § 2 RDG § 2 I RDG erbringen. Eine solche ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angele- genheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzel- falls erfordert. [237] Nach den Gesetzesmaterialien führt jede spezifi- sche Einzelfrage, deren Beantwortung eine juristische Subsumtion und besondere Rechtskenntnisse – und sei es auch lediglich in einem kleinen Teilbereich – erfor- dert, zu der Annahme einer solchen Rechtsprüfung, die den Anwendungsbereich des RDG eröffnet (s. nur BT- Drs. 16/3655, 47). [238] Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Kl. sollte vorliegend die kartellrechtlichen Schadensersatz- forderungen nach Prüfung der Erfolgsaussichten gegen die Bekl. durchsetzen. Es war jeweils im Einzelfall, d.h. für die Forderungen sämtlicher Zedenten, zu prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen eines Kartellschadens- ersatzanspruchs vorlagen, und bejahendenfalls, in wel- cher Höhe ein solcher Anspruch gegeben war. Die Kl. bzw. die xxx-Gruppe werben gerade in Bezug auf das Zuckerkartell ausdrücklich mit einer solchen Prüfung und Geltendmachung von Kartellschadensersatzan- sprüchen (vgl. Anlage K89). [239] (3) Es handelt sich bei der Beitreibung der abge- tretenen Forderungen auch um eine für die Kl. „fremde“ Angelegenheit i.S.v. § 2 I RDG; dies gilt auch trotz der vorgelegten dinglichen Abtretungsverträge, mit denen die Zedenten die streitgegenständlichen Forderungen an die Kl. abtreten wollten. [240] (a) Die Frage, ob eine eigene oder eine fremde Rechtsangelegenheit betroffen ist, richtet sich danach, in wessen wirtschaftlichem Interesse die Besorgung der Angelegenheit liegt. Entscheidend ist, ob die Forde- rung einerseits endgültig – also ohne die Möglichkeit der Rückbelastung – auf den Erwerber übertragen wird und dieser andererseits insbes. das Delkredereri- siko, d.h. das volle wirtschaftliche Risiko der Beitrei- bung der Forderung, übernimmt (BGH, NJW 2018, 2254; BGH, ZIP 2012, 2445 Rn. 14 m.w.N.; vgl. auch für das Kartellrecht: LG Mannheim, NZKart 2019, 173). [241] (b) Nach diesen Maßstäben kann nicht davon ausgegangen werden, die Beitreibung der Forderungen erfolge (allein oder überwiegend) im wirtschaftlichen In- teresse der Kl., weil diese das volle wirtschaftliche Risi-
dem Verfahren zum Aktenzeichen B2-36/09 festgestell- ten Kartells entstanden seien. [2] Die Kl. ist eine Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts und im Rechtsdienstleistungsregister registriert. [3] Die Bekl. sind in Deutschland ansässige Zuckerpro- duzenten. (...) [7] Die Kl. ist der Ansicht, die mit den Zedenten verein- barten Abtretungen seien wirksam gewesen. Ein Ver- stoß gegen das RDG liege in den Abtretungen nicht. (...) AUS DEN GRÜNDEN: (...) [227] II. Die Klage ist nicht begründet. [228] 1) Die Kl. ist nicht aktiv legitimiert. Die Kl. selbst hat unstreitig weder von den Bekl. noch sonst Zucker bezogen; dies haben nur die Zedenten bzw. Vorzeden- ten getan. Insoweit könnte sich eine Aktivlegitimation der Kl. nur aus den behaupteten Abtretungen der Ze- denten an die Kl. ergeben. Diese Abtretungen sind aber unter mehreren Gesichtspunkten unwirksam. [229] a) Eine Unwirksamkeit der Abtretungen ergibt sich zunächst aus § 134 BGB i.V.m. § 3 RDG (zur ent- sprechenden Rechtsansicht der Kammer in einer ähn- lichen Konstellation vgl. LG Hannover, Urt. v. 4.5.2020 – 18 O 50/16 Rn. 88 ff. juris). [230] aa) Der Anwendungsbereich des RDG gem. § 1 I 1 RDG ist eröffnet. Das RDG erfasst „außergerichtliche“ Rechtsdienstleistungen. [231] (1) Die Forderungsabtretung bzw. die Mitwirkung an der Forderungsübertragung als solche betrifft eine außergerichtliche Tätigkeit i.S.v. §§ 1 I 1, 3 RDG. [232] Daran ändert der Umstand nichts, dass die abge- tretenen Forderungen alsdann gerichtlich geltend ge- macht werden sollen und hier auch wurden (s. BGH, NJW 2013, 3580; auch OLG Stuttgart, DStRE 2018, 188, 189: „Die Forderungsabtretung zur gerichtlichen Einziehung – wie hier – betrifft nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine außergerichtliche Tätigkeit i.S.v. §§ 1, 3 RDG, auch wenn sie später gerichtlich geltend gemacht wird“; ebenfalls Deckenbrock/Henssler/ De- ckenbrock , 4. Aufl. 2015, RDG § 1 Rn. 21). [233] (2) Ferner stellen auch die Beauftragung der Pro- zessbevollmächtigten der Kl. durch die Kl. und deren In- formation durch die Kl. jeweils eine außergerichtliche Tätigkeit dar, weil auch diese Handlungen nicht gegen- über dem Gericht vorgenommen werden (LG Mann- heim, NZKart 2019, 173). Die Kl. hat ferner die Organi- sation der Geltendmachung der Forderungen, die Be- auftragung ihrer Prozessbevollmächtigten sowie – da- mit zwangsläufig verbunden – die Korrespondenz mit diesen übernommen. Auch darin liegen außergericht- liche Tätigkeiten (s. nur OLG Stuttgart, DStRE 2018, 188, 189). [234] bb) Weiter waren die Abtretungen und die ihnen zugrundeliegenden Abreden auch darauf ausgerichtet, dass die Kl. eine „Rechtsdienstleistung“ i.S.d. § 2 I RDG für die Zedenten erbringen sollte.
BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021
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